14.06.23

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Der Einsatz von EMS im Hobby- und Leistungssport: im Interview mit Dr. Heinz Kleinöder

Das Training mit elektrischer Muskelstimulation (EMS) ist eine seit Jahren bewährte Methode. Dennoch kursieren noch immer viele Mythen und Halbwahrheiten: Kann man mit EMS „alles aus sich herausholen“ – und sollte man das überhaupt? Welche Vorteile bietet EMS – und wo stößt es an seine Grenzen? 

Ist EMS nur eine Sache für Leistungssportler oder taugt es auch zum Ausgleichssport für Otto Normalverbraucher? Zu diesen und anderen Fragen haben wir Dr. Heinz Kleinöder interviewt: Er ist an der Deutschen Sporthochschule Köln tätig, und zwar in der Abteilung für Trainingswissenschaftliche Interventionsforschung – und da ist EMS ein heißes Thema.

myostyle: Viele Hobbysportler möchten heutzutage alles aus sich herausholen. Welche Möglichkeiten und Vorteile bietet hier das Training mit EMS-Systemen?

Grundsätzlich rate ich Hobbysportlern, nur sehr dosiert „alles aus sich herauszuholen“. Trainingseinheiten mit hoher Intensität können ohne die entsprechende Diagnostik und Betreuung wie im Profisport schnell zu Überlastungen und Verletzungen führen. Damit tritt der gesundheitliche Aspekt des Hobbysports in den Hintergrund und kann sich ins Gegenteil verkehren.

Wer ein Training mit höherer, individuell gut verträglicher Intensität durchführen möchte, kann die Belastung mit einem EMS-System sehr gezielt und fein abgestuft steuern. Das geschieht einfach über die Regler am Gerät, die es erlauben, bestimmte oder alle Muskelgruppen so intensiv wie gewünscht zu stimulieren. Dadurch können verschiedene Übungskonstellationen wie z. B. ein Training mit dem eigenen Körpergewicht oder mit Hanteln etc. intensiviert werden.

Wer dennoch die Erfahrung einer maximalen Auslastung der Muskulatur erleben will, dem sei gesagt, dass die individuelle Schmerzgrenze diese sinnvoll abriegelt. Eine solche Maximalbelastung hat natürlich mit einem systematischen Trainingsreiz nichts zu tun und fördert weder die Gesundheit noch das Wohlbefinden. Vielmehr gehört es zu den Grundregeln beim EMS-Workout, stets mit tolerablen Reizen zu trainieren.


myostyle: Für welche Sportarten eignet sich EMS besonders?

EMS eignet sich für viele Sportarten, da es sowohl ein lokales als auch ganzheitliches Training ermöglicht. So ist z. B. das lokale Training einer häufig problembehafteten Muskelgruppe oder Körperpartie möglich – z. B. für den unteren Rücken oder die Bauchmuskulatur. 

Alternativ ermöglicht EMS auch eine Ganzkörperstimulation bei einer klassischen Übung wie beispielsweise der Kniebeuge. Im Leistungssport wird EMS mittlerweile von Sportlern der verschiedensten Disziplinen eingesetzt, u. a. im Fußball, Tennis, Leichtathletik, Ski nordisch, Rodeln etc.


myostyle: Oft liest man, das EMS-Training könne bestimmte Leistungsparameter positiv beeinflussen. Ist das korrekt? Kann also beispielsweise ein Radsportler durch EMS-Training schneller werden? Und wenn ja, wie funktioniert das, wie kann EMS das reguläre Radsporttraining unterstützen?

Der große Vorteil des EMS-Trainings liegt darin, dass man schnelle bzw. langsame Muskelfasern über die Wahl der Impulsfrequenz (höher bzw. niedriger) selektiver ansteuern kann. Insofern können Sprinter, also Radfahrer wie Läufer, davon profitieren, vor allem die schnellen Muskelfasern zu aktivieren.

Dazu kann eine Dauerstimulation durch elektrische Trainingsimpulse z. B. während des Rollentrainings die Intensität der Ausdauereinheiten deutlich nach oben regulieren. Außerdem lässt sich durch EMS-Training auch die Haltung des Oberkörpers von Radfahrern gezielt verbessern.


myostyle: Nehmen wir ein anderes, häufig diskutiertes Beispiel: EMS und Bodybuilding. Können elektrische Impulse das Training an der Hantelbank sinnvoll unterstützen?

EMS unterstützt das Krafttraining im Bodybuilding durch eine verbesserte Ansteuerung der Muskelfasern. Dies geschieht auch über eine längere TUT (time under tension), die maßgeblich für das Muskelwachstum ist. Und wie gesagt, das Besondere daran ist, dass EMS eine erhöhte Anspannung und Anspannungsdauer erreichen kann, ohne den passiven Bewegungsapparat (Sehnen, Bänder, Knochen etc.) zu belasten.


myostyle: Welchen Vorteil bietet EMS gegenüber anderen Trainingsmethoden?

Wesentliche Vorteile von EMS sind die Intensivierung der Körperwahrnehmung und die Möglichkeit zur Kombination mit anderen Trainingsmethoden. EMS kann eher statisch durchgeführt werden, wie z. B. beim Stabilisationstraining, oder in Kombination mit einer anderen Bewegung, z. B. mit einer Kniebeuge, oder auch dynamisch mit einem Zusatzgewicht etc.

Ein weiterer wichtiger Vorteil: EMS schont den passiven Bewegungsapparat, der z. B. beim klassischen Gewichtstraining stark durch hohe mechanische Lasten beansprucht wird. Das ist gerade für ältere Menschen eine attraktive Option: Sie können ihre Muskulatur gezielt und ohne Zusatzlasten trainieren und dadurch mobil bleiben.


myostyle: Wie sinnvoll ist es, ausschließlich mit EMS zu trainieren?

Ausschließlich mit EMS gearbeitet wird eigentlich nur bei Anwendungen wie TENS – das ist eine Methode zur Schmerzbehandlung, die oft im Bereich Reha und Physiotherapie zum Einsatz kommt. 

Wenn es dagegen um den Muskelaufbau geht, bspw. nach Verletzungen oder längerer Krankheit, dann wird das EMS-Training grundsätzlich in ein größeres Reha-Konzept eingebettet.

Als Anwendung im aktiven Sport ist das EMS-Training stets eine Kombination aus selbst produzierter Muskelspannung (isometrisch haltend oder dynamisch bewegend) und der zusätzlichen Aktivierung durch den eingeleiteten Strom. Dadurch ist es möglich, das Kraft-oder ein Ausdauertraining zu intensivieren.

Falls sich das „ausschließlich“ auf die Frage bezieht, ob man nur mit EMS, also ohne andere Sportgeräte, effektiv trainieren kann, hängt das natürlich vom jeweiligen Trainingsziel ab: Ambitionierte Sportler nutzen EMS meist als einen mehrerer Trainingsbausteine. 

Für ein allgemeines Fitnesstraining dagegen ist EMS absolut ausreichend und effektiver als andere Trainingsmethoden.


myostyle: Wo gerät EMS im sportlichen Bereich grundsätzlich an seine Grenzen?

Um eine bestimmte sportliche Leistung zu verbessern, braucht es nicht nur eine möglichst intensive Ansteuerung und Auslastung des Körpers. Vielmehr muss der Gesamtkontext stimmen, d. h. Belastung, Regeneration und Ernährung. Und trotzdem wird selbst im Breitensport der Fokus meist einseitig auf einer möglichst intensiven Belastung gelegt.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt ein moderates, regelmäßiges und nachhaltiges Sporttreiben mit gelegentlichen Intensitätssteigerungen plus einer gesunden Ernährung. 

Diese Empfehlung zeigt die Grenzen jeder Trainingsmethode auf, es braucht eben mehr als nur das Training allein. Wenn man jedoch die weiteren Faktoren – Regeneration und Ernährung – mit berücksichtigt, bietet EMS eine gut dosierbare und vielseitig einsetzbare Trainingsmethode, die einen Beitrag zur gesunden Lebensführung als solche leisten kann.


myostyle: Eignet sich EMS beispielsweise für Sportmuffel als Trainingseinstieg (um die Motivationsschwelle besonders niedrig anzusetzen)?

EMS bietet auch weniger sportaffinen Personen einen guten Einstieg in ein bewegtes Leben. Besonders motivierend: Es braucht nur kurze Trainingseinheiten! Dabei werden unter sicheren Bedingungen viele Übungen erlernt und der Reiz kann durch den eingeleiteten Strom stufenweise intensiviert werden. Damit wird auch das anschließende Training für Fortgeschrittene und Könner gut vorbereitet.


myostyle: Fit im Büroalltag: Ist EMS der ideale Ausgleich?

EMS ist eine zeitsparende Trainingsmethode, da quasi der ganze Körper simultan trainiert werden kann. Durch diese Konstellation ist es möglich, schnell den gesamten Körper zu trainieren und eine verbesserte Körperwahrnehmung zu erzielen. 

Dadurch können die wenig durch Büroarbeit geforderten Muskeln elegant auf ein höheres Aktivierungsniveau gebracht werden und man fühlt sich anschließend wieder frisch.