14.09.23
Prof. Dr. med. Uwe Nixdorff im Experteninterview: EMS als Präventionsmaßnahme
Die Herz-Kreislauf-Gesundheit ist für viele Menschen ein wichtiges Thema: Schließlich geht es dabei nicht nur um das aktuelle Wohlbefinden, sondern vor allem auch um die künftige Lebensqualität! Möchten Sie topfit die Karriereleiter erklimmen? Herzgesund den Ruhestand genießen? Fußballspielen mit den Enkeln?
Hier lohnt es, rechtzeitig Vorsorge zu treffen! Wie das am besten geht, darüber sprechen wir mit Prof. Uwe Nixdorff, einem ausgewiesenen Experten für präventive Kardiologie. Erfahren Sie, wie aussagekräftig ein EKG ist, warum bildgebende Verfahren so wichtig sind und wie Sie mit EMS-Training sein Herz schützen können.
myostyle: Professor Dr. Nixdorff, Sie sind Spezialist auf dem Feld der präventiven Kardiologie. Können Sie Ihr Fachgebiet für unsere LeserInnen so einfach wie möglich erklären?
Prof. Dr. Nixdorff: Die Prävention ist ja von großer Bedeutung, wird aber leider immer noch nicht so richtig in der Versorgungsmedizin gelebt. Wichtig ist sie vor allem deshalb, weil wir heute ein hohes Lebensalter erwarten und das bringt es eben auch mit sich, dass die Menschen zunehmend chronische Erkrankungen bekommen.
Das kannte man früher gar nicht. Noch vor 150 Jahren, zu Zeiten von Reichskanzler Bismarck, hatte man eine Lebenserwartung von unter 50 Jahren und da kam man gar nicht in die Gelegenheit, viele Erkrankungen zu bekommen, die wir heute in großer Häufigkeit erleben.
Dazu zählt, ganz wesentlich, der Herzinfarkt – früher gab es den fast gar nicht, denn die Atherosklerose, also die Gefäßwandverkalkung und -verdickung, die die Grundlage für den Herzinfarkt bildet, entwickelt sich über Jahrzehnte. Das ist keine Sache, die man im Alter von 20 Jahren schnell mal bekommt, wenn man zum Beispiel zu viel raucht.
Eine solche Erkrankung wird vielmehr über Jahre, Jahrzehnte aufgebaut. Auf diese gestiegene Lebenserwartung und die damit einhergehenden Erkrankungen müssen wir als Mediziner natürlich reagieren. Wir haben heute eine technisch sehr fortgeschrittene Kardiologie, so dass wir Infarkte gut behandeln können, also mit guten Überlebenschancen für die Patienten. Aber – und das ist der springende Punkt – die Patienten sind danach nicht mehr gesund.
Es verbleibt ein gewisses Maß an abgestorbenem Herzmuskelgewebe und damit rutschen sie in eine Herzinsuffizienz, also eine Herzschwäche. Darauf gilt es zu reagieren und eben deswegen ist die Prävention so wichtig. Das ist der erste Punkt, und der zweite ist, dass wir heute sehr genau wissen, was die Risikofaktoren für einen Herzinfarkt sind. Das kann man heute klar nachweisen, und damit können wir diese auch aktiv angehen und beeinflussen, gerade was den Lebensstil angeht.
myostyle: Sie sind neben ihrer Tätigkeit als Arzt und Forscher auch an der Universität Erlangen tätig. Wie bringen Sie all diese Verantwortungen unter einen Hut?
Prof. Dr. Nixdorff: Das ist eine sehr persönliche Frage und die kann ich daher auch nur persönlich beantworten. Für mich ist das extrem abhängig von dem Interesse und der Motivation, die man für eine Sache hat. Meine Lebensphilosophie ist, dass engagierte Arbeit einer hohen Lebensqualität zuträglich ist.
In der Generation Y und auch Z ist die Work-Life-Balance ein großes Thema, aber das halte ich für ein Fehlkonzept: Work ist ja nicht gleich nicht Leben, sondern Arbeit ist Teil des Lebens und sollte Spaß machen – und wenn ich feststelle, dass sie keinen Spaß macht, dann muss ich das halt verändern.
Da sind wir selbst unseres Glückes Schmied, da appelliere ich durchaus an die Leistungsfähigkeit und die Verwirklichungsmöglichkeit eines Menschen. Und das lebe ich auch vor, ich habe in meinem Leben viel gearbeitet, gerade wenn man habilitiert ist, ist es ja so, dass man tagsüber den Krankenhausdienst macht und dann eben in der Nacht und an den Wochenenden an den Publikationen arbeitet.
Und das schafft doch auch viel mehr eigene Befriedigung, wenn man etwas leistet, was dann auch Anerkennung findet und Menschen helfen kann, wenn man also auch soziale Verantwortung übernimmt. Ja, und dann geht das schon! Also ich empfinde es nicht als Belastung, sonst hätte ich es auch nicht gemacht – denn es ist ja auch eine freiwillige Entscheidung, ob man sich so engagiert in seinem Beruf.
Das gilt sowohl für meine Tätigkeit in Erlangen, wo ich früher als Oberarzt tätig war und jetzt an der Universität Vorlesungen halte, wie auch für die Leitung meines eigenen Zentrums: Das European Prevention Center ist ein Projekt, das ich so in der Klinik nicht realisieren konnte, weil es dort eher um die akute Versorgung geht und oft wenig Platz und Muße für die Prävention bleibt.
Und da braucht es wirklich Muße, da man sich mit Menschen beschäftigen und sie beraten muss, wie sie ihren Lebensstil verändern sollten. Und das macht einfach irre viel Spaß und durch diesen Spaß bin ich auch ausreichend motiviert und kann – wie man so schön sagt – auch Berge versetzen.
Hier möchte ich ganz kurz einhaken, weil das ja genau unser Thema ist: Wie verbreitet sind solche Präventionszentren?
Leider gibt es nur sehr wenige solcher Zentren. Also ich bin da sicherlich ein Protagonist, aber diese Zentren kann man wirklich an der Hand abzählen. Ich kenn auch den Wettbewerb ganz gut – ich bin natürlich heute auch Unternehmer, und mache auch dauernd Benchmarkings und es gibt wirklich wenig solcher Zentren.
Dazu muss man sagen, dass im hausärztlichen Bereich natürlich schon immer auch Prävention gemacht wurde und wird – wenn auch sicherlich nicht auf dem Niveau, das ich für mich proklamiere. Auch viele Chefärzte machen Sprechstunden, in denen sie bevorzugt das Thema Prävention aufgreifen. Aber das, wonach Sie fragen, also ein dezidiert kardiologisches Präventionszentrum, wie ich eines gegründet habe und mit Erfolg betreibe, das gibt es ganz wenig.
Und das ist schon ein qualitativer Unterschied in der Präventionsarbeit: In meinem Zentrum arbeite ich mit Algorithmen und Evidenzen, und vor allem mit viel mehr Muße – das wird in der praktischen Medizin nicht immer so ganz en detail gemacht, da geht es ja auch um praktisch schnelles Arbeiten.
Ich dagegen habe mir im Rahmen meiner Gründung erlaubt, mir mehr Zeit zu nehmen für die Patienten und eine ausführliche, sogenannte Risikoevaluierung durchzuführen. Das ist eben nicht nur ein bisschen Blutdruck und Diabetesbehandlung, sondern ein hochkomplexes, auf Formeln aufgebautes Verfahren, mit dem wir das Infarktrisiko vorhersagen.
Und daraus geht dann hervor, welche weitergehenden Untersuchungen nötig sind – und da nutze ich vor allem bildgebende Verfahren, die deutlich aufschlussreicher sind als manche landläufigen Methoden wie bspw. das Belastungs-EKG.
Über die Bildgebung können wir direkt die sich entwickelnde Atherosklerose sehen, also zum Beispiel per Ultraschall bei den Halsschlagadern oder per Herz-CT bei den Herzkranzarterien oder auch mit dem Ganzkörper-MRT, das einen Einblick in alle Arterien erlaubt.
Diese Bilder zeige ich auch meinen Patienten, denn das hat einen bombastischen Präventionseffekt, der durch mehrere Studien belegt ist: Wenn Menschen solche Bilder sehen, verbessert das ihre Lebenserwartung im Vergleich zur Kontrollgruppe, die keine solche Bilder gesehen haben.
Auf diesen Bildern sieht man die Plaques, also genau diese Verdickungen und Verkalkungen, auf deren Grundlage sich Klumpen bilden oder Arterien verschließen können, sodass man einen Herzinfarkt oder Schlaganfall bekommt…und wenn ich als Arzt dann dem Patienten erkläre, was die Bilder sagen, dann sehe ich oft, förmlich, wie es Klick macht.
Die Leute kommen ja nicht ohne Grund, aber man muss es wirklich erklären und anschaulich machen, was da im Körper passiert und welche Konsequenzen es haben kann, bevor ich merke: Oh, jetzt hat es Klick gemacht, derjenige wird seine Lebensgestaltung wirklich hinterfragen und überlegen, was vielleicht geändert werden müsste. Und dafür bleibt in der Hektik des normalen Medizinbetriebs leider oft keine Zeit.
myostyle: Herzinfarkt und Schlaganfall sind die häufigsten Todesursachen in der westlichen Welt. Die Gründe und Faktoren sind unglaublich vielfältig. Was sind Ihre besten Tipps, wie man sich davor schützen kann – neben gesunder Ernährung und kein Rauchen?
Prof. Dr. Nixdorff: Erlauben Sie mir, dass ich da widerspreche – die Gründe sind eben nicht unglaublich vielfältig, es gibt da eine ganz klare Pathologie. Das heißt, es gibt EINE ganz klare Ursache für den Erkrankungsprozess, der immer gleich abläuft:
Entzündungen des Endothels führen zu einer Veränderung der Arterienwände, so dass Blutkörperchen in die Wände eindringen können und sich Lipidpools bilden, also quasi kleine “Fettseen” in den Arterienwänden. Das ist die sogenannte Plaque, und diese Plaques sind von einer dünnen Gewebeschicht überdacht. Wenn diese durch äußere Einflüsse einreißt, bildet sich ein Gerinnsel und das Gefäß verschließt sich – so entsteht der Herzinfarkt bzw. Schlaganfall.
Sie haben ja schon zwei Risikofaktoren erwähnt:
- Rauchen- das Rauchen von Zigaretten ist im Grunde der gravierendste Risikofaktor, das muss man klar sagen.
- Ernährung – auch das haben Sie genannt, das ist gerade in westlichen Ländern kolossal wichtig. Da gab es auch einen Paradigmenwechsel, früher haben Kardiologen immer die fettarme Ernährung propagiert, aber das ist nicht mehr so zu halten. Da gibt es riesige Studien1 dazu. Wir haben erkannt, dass es die Kohlenhydrate sind, also Lebensmittel mit einem hohen glykämischen Index, das betrifft nicht nur Süßigkeiten, sondern auch Kuchen und Brot bis hin zu Pizza und Hamburger, das sind alles Kohlenhydrate. Wenn man es da schafft, ein bisschen Abstand zu halten in der täglichen Ernährung, hat man schon einen absolut fantastischen Gewinn.
- Fitness bzw. Bewegung – Sie fragen ja nach weiteren Präventionsthemen, und das würde ich eigentlich noch vor die Ernährung setzen wollen. Das muss gar kein Hochleistungssport sein, ganz im Gegenteil, es genügt auch schon die physiologischste Form der Bewegung, die der Mensch hat – das Gehen, einfach strammes Gehen, aber natürlich auch Joggen, Fahrradfahren, Schwimmen, also die ganzen Ausdauersportarten. Am besten kommt dazu noch Krafttraining an mindestens zwei Tagen der Woche.
- Entspannung – viele Menschen leiden heute unter Stress, sowohl beruflich als auch privat. Diesen Stress können wir über die Herzratenvariabilität heute auch messen – und natürlich auch lindern, zum Beispiel durch Entspannungsübungen wie Achtsamkeitstraining. Dazu darf ich nochmal an das Thema Lebenseinstellung erinnern: Es ist eben nicht unbedingt unabwendbar, dass man einen unbefriedigenden oder stressigen Job hat, und ich empfehle auch jedem, sich Gedanken zu machen über den Sinn des Lebens, und dann die Kraft, die daraus entsteht, zu nutzen, um sein Leben proaktiv zu gestalten.
myostyle: Sie geben auf Ihrem YouTube Kanal oft Einblicke in Ihre Forschung und Ihren Fachbereich. Ein Video handelt von der Effektivität von EMS. Können Sie einmal kurz erklären, was EMS ist und wofür man es verwendet?
Prof. Dr. Nixdorff: EMS ist die Abkürzung für Elektrische Muskelstimulation und das sagt eigentlich schon, worum es geht: Beim Krafttraining arbeitet man durch das Heben, Ziehen oder andere Bewegungsformen an Geräten bzw. Gewichten, wobei die Muskeln willentlich vom Gehirn unter Strom gesetzt werden und damit der Stimulus entsteht, dass der Muskel kontrahiert, also sich zusammenzieht.
Beim EMS wird quasi unter Umgehung dieses zerebralen Befehlsmusters von außen Strom auf große Muskelgruppen appliziert. Beim klassischen EMS-Training werden oft auch simultan mehrere große Muskelgruppen stimuliert, so dass man eine höhere Effizienz erreichen kann als beim klassischen Krafttraining, wo in der Regel nur eine Muskelgruppe aktiviert wird.
Die Methode ist an sich nicht neu, sondern wird unter der Bezeichnung Reizstromtherapie schon seit Jahrzehnten in Kurkliniken und Rehabilitationskliniken eingesetzt, gerade auch bei Menschen, die nicht mehr so leistungsfähig sind. In meinem Fachgebiet, der Herz-Kreislauf-Medizin, betrifft das vor allem Schlaganfallpatienten, die oft auch Lähmungen haben und auf diese Weise ein Muskeltraining absolvieren können.
In den letzten Jahren ist das ein bisschen im Lifestyle-Bereich en vogue geworden und dagegen ist auch nicht viel einzuwenden. Ich habe selbst auch ein paar Jahre lang ein EMS-Studio besucht und fand das auch gut. Dazu gibt es auch mehrere Studien, die an Sportuniversitäten durchgeführt wurden und das EMS-Training positiv beurteilen, unter anderem an meiner Fakultät in Erlangen, an der Sporthochschule Köln, auch in Bayreuth und Hamburg. Die Effektivität wurde belegt, der Muskelquerschnitt wurde tatsächlich erweitert, und es wurden auch keine schädigenden Einflüsse beobachtet.
Dazu möchte ich aus meinem Fachbereich, also der Präventivkardiologie, heraus ausdrücklich betonen, wie wichtig regelmäßiges Krafttraining ist. Auch da haben wir uns in der Kardiologie weiterentwickelt, früher haben wir immer Kardiotraining empfohlen, also Ausdauertraining, aber heute sagen wir klipp und klar:
Es braucht auch Krafttraining, weil fehlende Betätigung zu Muskelschwund führt: Wer nicht viel Sport macht, kann binnen 10 Jahren ungefähr 3 Kilogramm Muskulatur verlieren und das ist natürlich auch deshalb ungünstig, weil die Muskulatur ganz wesentlich am Stoffwechsel beteiligt ist. Durch vermehrte Muskelquerschnitte werden eben auch vermehrte Mengen an Zucker und auch Fettsäuren verbrannt, und das reduziert natürlich auch das atherosklerotische Risiko.
Das gilt natürlich auch umgekehrt, also ein rein isoliertes Krafttraining ist aus sportmedizinischer Sicht auch nicht optimal, da empfehlen wir immer ein Aufwärmtraining, also Kardiotraining auf dem Stepper, Ergometer oder Laufband. Dabei werden die Sehnen mobilisiert, vorgedehnt und das reduziert die Unfallgefahr, wenn man dann in das Krafttraining geht.
Ideal ist die Kombination von regelmäßigem Ausdauertraining, also eine halbe Stunde pro Tag, und dazu dann Krafttraining – da reicht 2x pro Woche beim klassischen Krafttraining. Bei EMS kommt man aufgrund der höheren Effektivität durch das simultane Training mehrerer Muskelgruppen auch mit 1x pro Woche aus.
Das ist kein reines Marketing-Argument, mit dem viele EMS-Studios werben – “nur 20 min pro Woche” , das ist durch wissenschaftliche Studien durchaus belegt. Ich habe ja viele Manager bei meinen Check-Ups, die haben wenig Zeit, und da ist das natürlich ein schlagendes Argument für EMS – eben dieses sehr zeiteffektive Training.
Aus sportmedizinischer Sicht wäre es allerdings durchaus sinnvoll, nicht direkt mit dem EMS-Krafttraining zu beginnen – wie es in den meisten Studios üblich ist – sondern sich vorher 15 min aufzuwärmen, bspw. auf dem Ergometer.
myostyle: Kann EMS auch dabei helfen, das Herz zu stärken? Und gibt es auch negative Auswirkungen durch die Stromimpulse?
Prof. Dr. Nixdorff: Ja, also das EMS-Training ist kardioprotektiv, denn es bietet eine sehr effektive Stoffwechselaktivierung.
Da muss ich kurz etwas ausholen: Wir reden heute in der Präventivkardiologie viel über das “Kardiometabolische Syndrom”, das ist ein sehr aktueller Begriff, der die Folgen von Adipositas bzw. Übergewicht beschreibt. Übergewicht ist ja kein rein ästhetisches Thema, sondern es ist ja so, dass die Fettzellen (Adipozyten) vor allem viszeral, also im Bauchbereich hochgradig ungünstig metabolisch tätig sind.
Diese geschwollenen Adipozyten produzieren nämlich Interleukine und Zytokine, das sind Entzündungsstoffe, die ins Blut abgegeben werden, auf diesem Wege an die Arterienwände gelangen und dort eben zu Atherosklerose führen. Zudem hat ein richtig adipöser Mensch häufig auch Diabetes, in der Regel mindestens Prä-Diabetes oder zumindest eine Insulinresistenz, dazu kommen dann auch Fettstoffwechselstörungen und in der Regel auch Bluthochdruck – also alles Dinge, die nicht gut sind für das Herz.
Aber wenn man Krafttraining macht, auch EMS-Training, dann werden durch den erhöhten Muskelquerschnitt eben mehr Fettsäuren und auch Zucker verbrannt, und das ist eine ideale Möglichkeit, Übergewicht abzubauen und ein gesundes Gewicht zu halten. Wenn man das dann, wie oben erwähnt, mit einer Low-Carb-Ernährung begleitet, dann ist man gesundheitlich schon auf einem sehr guten Weg.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, also zur Schädlichkeit, da ist – wie schon angemerkt – eigentlich nichts bekannt.
Man sollte diese Stromimpulse möglichst hochfrequent applizieren, da niedrigfrequente Ströme unter 1000 Hertz Beschwerden verursachen können, das fühlt sich an wie Nadelstiche und das ist natürlich unangenehm.
Ansonsten gilt für das EMS-Training dasselbe wie für das klassische Krafttraining: Man darf es nicht übertreiben. Auch das sehe ich an den Laborwerten, genauer gesagt am Creatinkinase-Wert. Wenn man richtig knallhart trainiert – und bei EMS ist das der Fall, weil man wie gesagt mehrere Muskelgruppen gleichzeitig stimuliert – dann steigt der CK-Wert.
Das zeigt an, dass hier Muskelfasern zerbrochen sind, das ist bei richtigen Bodybuildern sogar gewünscht, das heilt auch gleich wieder, aber man braucht eben unbedingt eine mindestens eintägige Ruhephase zwischen den Trainingseinheiten.
myostyle: Sie sind letztes Jahr unter die Top 10 Internisten in Düsseldorf und unter die Top Mediziner 2022 im Focus gekommen. Was hebt Sie von Ihren Kolleginnen und Kollegen in Ihrem Fachgebiet ab?
Prof. Dr. Nixdorff: Ja, darüber haben wir anfangs schon etwas gesprochen, beim Thema Lebenseinstellung und Sinn des Lebens. Und für mich besteht diese Sinnhaftigkeit eben darin, dass man sozial tätig ist und soziale Wirksamkeit entfaltet. Ich bin kein Verfechter der Work-Life-Balance, ich suche meine Lebensbefriedigung nicht im sogenannten freizeitlichen Bereich, sondern eben in meiner Arbeit.
Und vielleicht ist es gerade das, was mich von manch anderen Kollegen unterscheidet: Die wirklich vertiefte Kenntnis der Krankheitslehre und das Selbstverständnis als Wissenschaftler. Ich mache nicht einfach nur ein EKG, weil das halt so gemacht wird, sondern ich fange immer erst einmal an, grundsätzlich nachzudenken: Was ist eigentlich mit der Krankheit los? Und reicht hier das EKG, oder brauche ich eine modernere Methode wie bspw. die Computertomographie?
Es ist im Grunde eine gewisse wissenschaftliche Neugierde und auch eine wissenschaftliche Fundiertheit, was auch kein Selbstzweck ist, sondern letztlich dem Patienten zugutekommt, weil damit viel gründlicher und auch adäquater diagnostiziert und letztlich auch therapiert wird.
Und nur auf diese Weise kommt man auch zu neuen Erkenntnissen und nur so kann man auch zukünftige Entwicklungen oder Probleme überhaupt erst erkennen. Und ich bin halt nicht nur der Praktiker, sondern auch der Forscher.
Und ein weiterer wichtiger Punkt: Ich behandle jeden Patienten individuell. Das ist ja heute ein wichtiges Stichwort, die personalisierte Medizin. Die Behandlung von der Stange reicht nicht aus, das ist in der Versorgungsmedizin leider noch nicht angekommen. Aber genau das mache ich, weil ich mich freigeschwommen habe und das in meinem Zentrum einfach anbieten kann.
Das mache ich auch in meinen Vorlesungen an der Uni Erlangen – natürlich muss ich ein bestimmtes Curriculum ableisten, aber da habe ich mir auch immer Freiräume geschaffen, um auf eben diese Dinge auch hinzuweisen. Auch das ist eine Ebene, auf der es erst einmal Klick machen muss – das sind ja alles intelligente Studenten/Studentinnen und da lohnt es auf jeden Fall, entsprechende Impulse in Richtung Prävention & Personalisierung zu setzen. Noch intensiver umsetzen konnte ich das in meiner Funktion als Leiter des Masterstudiengangs “Master of Science in Preventive Medicine” an der Dresden International University.
myostyle: Haben Sie abschließend hilfreiche Tipps für Menschen, die körperlich eingeschränkt sind? Kann EMS hier eine gute Alternative sein, um sich dennoch sportlich zu betätigen oder zumindest den Muskelerhalt zu unterstützen?
Prof. Dr. Nixdorff:
Das hatte ich ja schon kurz dargelegt, als es um die Historie von EMS ging – Stichwort Reizstromtherapie. Gerade für Menschen, die sich kaum bewegen können, bietet EMS eine gute Applikation – ich denke da an Menschen mit Paresen, also Lähmungen der Skelettmuskulatur, gerade auch Menschen mit Querschnittslähmung, die kein eigenständiges Gerätetraining durchführen können. Das ist ja die ursprüngliche Anwendung der EMS-Technologie im rehabilitativen und medizinischen Bereich, bevor sie sich dann in den Lifestyle-Bereich ausgeweitet hat.
Über den Autor
Prof. Dr. med. Uwe Nixdorff ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie und ausgewiesener Präventionsexperte. Nach ersten Ausbildungsstationen in Frankfurt und Mainz übernahm Nixdorff 1998 eine (zunächst Assistenz-)Professur an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg.
Neben der Ausbildung von Studenten und der Betreuung von Kardiologiepatienten am Universitätsklinikum widmete er sich der klinischen Forschung – insbesondere den Möglichkeiten der nicht-invasiven kardiovaskulären Bildgebung. Sein Wunsch nach einer konsequent auf Früherkennung & personalisierte Vorsorge orientierten Medizin bewegte ihn 2005 zur Gründung des European Prevention Centers, das er bis heute leitet. Dazu führt er seit 2011 eine kardiologische Privatpraxis in Düsseldorf und treibt mit der Hanako GmbH die Entwicklung digitaler Vorsorgelösungen voran.
Quellen
1 Siehe insbesondere die PURE-Studie (Prospective Urban Rural Epidemiology) mit 170.000 Menschen weltweit, englischsprachige Zusammenfassung im Lancet: https://www.thelancet.com/article/S0140-6736(17)32252-3/fulltext