03.03.24

EXPERTENINTERVIEW Andre Filipovic

Dr. André Filipovic im Experteninterview: Leistungssport und Fußball

Im Leistungssport haben sich die Anforderungen an den Trainer deutlich intensiviert. Hier lautet die trainingswissenschaftliche Devise: “Strength and Conditioning”. Dabei ist der Athletic Coach auf vielseitige Weise gefordert, das Beste aus seinen Spielern herauszuholen, um den extrem hohen Leistungsanspruch im Spitzensport zu realisieren. Die Zielsetzung basiert auf einem Plus an Effektivität, Mobilität, Potential, Qualität und Effizienz.

myostyle: Herr Dr. Filipovic, Sie sind bereits seit vielen Jahren als Trainer tätig. Welche Rolle spielt ein Strength and Conditioning Coach im Leistungssport und speziell im Fußball?

Dr. Filipovic: Wer die Entwicklung im Fußball beobachtet, erkennt, dass das Spiel intensiver geworden ist und somit die physischen Ansprüche an die Spieler gestiegen sind. Ein wichtiger Faktor dabei ist die höhere Anzahl an Spielen. Im Zentrum dieser Veränderungen steht der Strength and Conditioning Coach. Seine Aufgabe ist es, das Potential der Spieler voll auszuschöpfen – und dabei kommt es vor allem auf Trainingsoptimierung und Personalisierung an, also auf gezielte individuelle Reize. Man hat also großen Einfluss auf die Spieler und die Trainingssteuerung, und das ist für mich als Sportwissenschaftler natürlich sehr spannend.

myostyle: Können Sie uns einen kleinen Einblick in Ihren Alltag als Trainer geben: Wie gestaltet sich Ihre tägliche Arbeit als Strength and Conditioning Coach im Fußballumfeld?

Dr. Filipovic: Ein typischer Tag startet morgens mit einer Trainingssitzung für die Planung. Ausgehend von der Belastung und den Ergebnissen der letzten Woche entscheide ich über die Zielsetzung der nächsten Trainingseinheit und die Aufteilung der Schwerpunkte im athletischen und taktischen Bereich. Im Anschluss bereite ich die Trainingseinheit detailliert vor. Jede Einheit wird mit einer spezifischen Aktivierung im Kraftraum vorbereitet, die auf den gewählten athletischen Schwerpunkt zugeschnitten ist. Das Monitoring per Tablet und GSP hilft mir, einen Überblick über die Trainingsbereiche der einzelnen Spieler zu gewinnen und zu überprüfen, ob die Trainingsziele erreicht werden. Gelingt dies nicht, passe ich das Training an. Nach dem Training geht es erneut in den Kraftraum, wobei den einzelnen Spielern individuelle Schwerpunkte zugeteilt werden. Im Anschluss werte ich die Daten aus, bespreche die Ergebnisse mit dem Trainerteam und plane den nächsten Tag.

myostyle: Welche spezifischen Trainingsmethoden und -techniken setzen Sie ein, um die Leistungsfähigkeit von Fußballspielern zu verbessern?

Dr. Filipovic: Zunächst ist es wichtig, zwischen der Entwicklung der Ausdauerleistungsfähigkeiten und der Verbesserung der Dynamik bzw. Explosivität zu unterscheiden. Dabei geht es um Schlagwörter wie „explosiver” bzw. „schneller“, um Aktionen mit und ohne Ball mit mehr Power auszuführen. Dafür setze ich eine Vielzahl verschiedener Trainingseinheiten ein, unter anderem Kniebeugen, Kreuzheben, Hip-Thrusts und Zugvarianten aus dem olympischen Gewichtheben, in Verbindung mit spezifischen plyometrischen Sprungformen. Bei der Optimierung der spezifischen Ausdauer geht es um das Training der verschiedenen Energiebereitstellungssysteme, also Sprints, Intervalltraining und kleine Spielformen. Ziel ist es, dass ein Spieler seine Leistung über möglichst lange Zeit im Spiel aufrechterhalten kann und auch zum Ende des Spiels seine Aktionen noch mit maximalem Tempo und hoher Qualität ausführen kann.

myostyle: EMS ist eine innovative Technologie im Bereich des Muskelaufbaus und der Regeneration nach Verletzungen. Wie sehen Sie die Vorteile von EMS im Vergleich zum herkömmlichen Krafttraining und wie integrieren Sie diese Methode in Ihr Trainingsprogramm?

Dr. Filipovic: EMS ist aus meiner Sicht zwar nicht die beste Methode zum Muskelaufbau im Leistungssport, aber das Training bietet große Vorteile, um neue intensive Reize zu setzen. Während die Belastung beim Fußball immer gleich ist, kann mit EMS die Belastungsstruktur aufgebrochen bzw. verändert werden, um neue Anpassungen über neue Reize zu ermöglichen. Dabei liegt der Fokus auf einer Steigerung der Explosivkraft, der Dynamik und der Antrittsschnelligkeit. EMS überzeugt zudem mit einer kurzen Einführungszeit und einer hohen Effektivität, um in relativ kurzer Zeit gute Ergebnisse zu erzielen.

myostyle: Elektromyostimulation kann die Muskelaktivität steigern und gleichzeitig die Belastung auf die Gelenke reduzieren. Wie setzen Sie EMS gezielt ein, um Verletzungen vorzubeugen und die Leistungsfähigkeit Ihrer Athleten zu verbessern?

Dr. Filipovic: Wenn wir EMS vornehmlich zur Leistungssteigerung einsetzen, machen wir das periodisch, also über eine Dauer von 6-12 Wochen, mit jeweils 2 Einheiten pro Woche. Der Fokus liegt dabei auf dem Oberschenkel, wichtig ist die dynamische Übungsausführung mit 30-40 Sprüngen, die Trainingsdauer liegt bei ca. 20 Minuten. Dabei gibt es zwei Varianten: Entweder ersetzen wir das traditionelle Krafttraining für mehrere Wochen mit zwei Einheiten EMS, in Verbindung mit Sprüngen und Antritten auf dem Platz. Oder wir absolvieren eine Krafteinheit mit EMS als Haupt-Trainingsmethode plus eine zweite Trainingseinheit mit exklusiver Kraft. EMS kann das Fußballtraining nicht komplett ersetzen, denn der Spieler braucht Stress für den Sehnenapparat – gerade die Wade braucht kombinierte Reize über reaktive Sprünge. Aber alle zwei bis drei Monate ist es durchaus sinnvoll.

myostyle: EMS kann sowohl für den Kraftaufbau als auch für Rehabilitation eingesetzt werden. Wie passen Sie das EMS-Training individuell an die Bedürfnisse Ihrer Athleten an?

Dr. Filipovic: Reha ist ein zweiter wichtiger Bereich, in dem EMS eingesetzt wird, da die Belastung für Gelenke oder Sehnenbandstrukturen reduziert werden kann. Davon profitieren insbesondere Spieler mit Kreuzband- oder Sprunggelenksverletzungen. Beim Tragen einer Schiene und bei Brüchen im Mittelfuß liegt der Fokus auf dem Erhalt der Muskulatur – allen voran der Wadenmuskulatur, weil sich diese sehr schnell zurückbildet und es lange dauert, die Muskeln wieder aufzubauen. Und genau diesen Muskelerhalt kann man mit EMS sehr gut erreichen.

myostyle: Wie oft kann man EMS bei Profisportlern einsetzen und in welchen Bereichen kann es Sie bei Ihrer Coaching-Tätigkeit unterstützen?

Dr. Filipovic: Das ist sportartspezifisch unterschiedlich: Für einen Fußballspieler, der jede Woche am Wochenende ein Spiel hat, ist EMS nicht mehr als zweimal pro Woche empfehlenswert. Drei Einheiten pro Woche halte ich eher bei Individualsportlern für sinnvoll. Beim Fußball sind zwei Einheiten pro Woche ausreichend, da hier ja zusätzlich eine Belastung auf dem Platz stattfindet. Ist das EMS-Training der einzige Trainingsreiz, der gesetzt wird – zum Beispiel im Reha-Bereich –, kann der Einsatz hingegen dreimal pro Woche erfolgen.

myostyle: Haben Sie als Profi-Coach abschließend ein paar Tipps für ehrgeizige Hobby-Fussballer?

Dr. Filipovic: Insgesamt geht es beim Fußball in erster Linie um einen Mix aus Kontinuität, Krafttraining und Sprints. Ich würde ein klassisches Krafttraining zweimal pro Woche als Basis empfehlen. Einmal pro Woche sind darüber hinaus Sprints sinnvoll. Wenn dann eine gewisse Basis vorhanden ist, können die Trainingseinheiten unterstützend mit einer Einheit EMS pro Woche ergänzt werden, um zusätzliche Reize zu setzen.